Die Ursachen im Überblick:

Für den Artenrückgang in diesem drastischen Ausmaß sind vor allem folgende Gründe verantwortlich:

Verlust und Zerstörung
von Biotopen

Nur noch wenige Prozent der Fläche Baden-Württembergs stellen heutzutage geeignete Lebensräume für bedrohte Nachtfalter-Arten dar.

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Ausgeräumte
Agrarlandschaften

Auf fast allen Agrarflächen haben massive Veränderungen durch Flurbereinigung stattgefunden.

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Verbuschung/Aufforstung von
extensiven Offenland-Biotopen

Die für viele Insekten besonders wertvollen Offenland-Biotope gingen durch Aufforstung oder Wiederbewaldung nach Nutzungsaufgabe verloren.

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Flächendeckende
Stickstoff-Überdüngung

Die Ökosysteme leiden unter massivem Stickstoff-Überschuss - mittlerweile einer DER Gründe für den aktuellen Biodiversitätsverlust.

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Pestizide

Die Nutzung von Pestiziden und die Abdrift der Gifte auch in Schutzgebiete ist eine wichtige Ursache für den anhaltenden Rückgang der Biodiversität.

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Klimwandel

Veränderte klimatische Bedingungen wirken auf einzelne Arten positiv, auf die meisten aber negativ.

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1. Verlust und Zerstörung
   von Biotopen

1.1 Portrait wichtiger Biotoptypen
1.2 Flächenverluste
1.3 Isolation und Verinselung 
1.4 Qualitative Entwertung

1.1
Nachtfalter-Lebensräume

Die meisten Habitate der seltenen und gefährdeten Nachtfalter-Arten Baden-Württembergs befinden sich in den folgenden Biotoptypen:

Magerrasen
Felsbiotope
Heiden
Niedermoore
Hochmoore
Röhrichte
Großseggenriede
Feuchte Streuwiesen
Hochstaudenfluren
Naturnahe Gebüsche & Wälder
auf besonders feuchten Standorten
Naturnahe Gebüsche & Wälder
auf besonders trockenen Standorten
Magere Flachlandmähwiesen
Magere Bergmähwiesen

Viele dieser Biotoptypen sind zwar als Biotope oder/und FFH-Lebensraumtypen gesetzlich geschützt.

Ihr Schutz ist angesichts der hohen Bestandsrückgänge der Nachtfalter allerdings nicht ausreichend:

1.2 Flächenverluste bei geschützten Biotopen

Geschützte Biotope machen nur noch wenige Prozent der Landesfläche aus.

In die Enge getrieben: Über 90 Prozent der Fläche Baden-Württembergs stellen heutzutage keine relevanten Lebensräume für bedrohte Nachtfalter-Arten mehr dar!

1.3 Isolation und Verinselung von Biotopen

Die zunehmende Isolation der immer kleiner und weniger werdenden Biotope stellt für Insekten eine massive Gefährdung dar. Hier können sich mittelfristig keine überlebensfähigen Populationen anspruchsvoller Arten mehr halten, da sie nicht mehr im Austausch mit Nachbarpopulationen stehen.

Die Folge derart reduzierter Lebensräume sind vermehrte lokale Aussterbe-Prozesse, vor allem nach bestandsreduzierenden Ereignissen.

Magerrasen bei Böhringen: Verinselung und Isolation.
Die Populationen des nicht im Naturschutzgebiet befindlichen Magerrasens stehen nicht mehr im Austausch mit den Nachbar-Populationen. Schon Einzelereignisse wie Hagel, Spätfrost oder eine Mahd zum falschen Zeitpunkt können so zum lokalen Aussterben der hier lebenden Arten führen.
  • Wenn kein Austausch mit benachbarten Populationen mehr möglich ist, können bereits einmalige Ereignisse wie eine Überflutung, Hagelschlag, Spätfrost, lokale Überweidung oder eine zum falschen Zeitpunkt durchgeführte Mahd zum Erlöschen einer Population und schließlich zum Aussterben einer Art führen.

1.4 Entwertung von Biotopen

Neben Verbreitung, Flächengröße und Vernetzung der Biotope ist auch ihre Habitatqualität relevant. Die Qualität eines Habitats hängt z. B. ab von:

  • Nährstoffarmut
  • Strukturreichtum
  • und einer angepassten Nutzung bzw. Pflege
Besonders gefährdet: Magere Offenland-Biotope

Wie die folgende Tabelle mit besonders wichtigen Habitaten für Nachtfalter zeigt, sind vor allem die nährstoffarmen Offenland-Biotoptypen landesweit rückläufig. Auch der Zustand der verbliebenen Flächen ist oft negativ zu bewerten (vgl. Breunig 2002, LUBW 2019): 

Besonders gefährdet: Magere Offenland-Biotope

Biotope

Gesetzlich geschützte Biotope genießen durch das Bundesnaturschutzgesetz der BRD unmittelbaren Schutz. Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung oder erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung führen können, sind verboten. 

Beispiele: Moore, Sümpfe, Röhrichte, Großseggenriede, seggen- und binsenreiche Nasswiesen, Quellbereiche, Binnenlandsalzstell, Magere Flachland-Mähwiesen, Berg-Mähwiesen, Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern, etc.

Biotope müssen nicht ausgewiesen werden, sie genießen unmittelbaren gesetzlichen Schutz, sobald sich ein derartiges Biotop gebildet hat.

FFH-Gebiete

Die FFH-Gebiete sind zusammen mit den Vogelschutzgebieten Teil des europaweiten Schutzgebietssystem Natura 2000, das ein zusammenhängendes ökologisches Netz von Gebieten darstellt, die der Erhaltung der biologischen Vielfalt dienen und europaweit Lebensräume und Populationen miteinander verbinden. In ihnen werden bestimmte Lebensraumtypen (LRT) sowie bestimmte Pflanzen- und Tierarten geschützt. Der Zustand der Gebiete wird durch die Mitgliedsländer der EU regelmäßig erfasst, es gilt ein Verschlechterungsverbot und ggfs. eine Wiederherstellungspflicht. 

2. Strukturelle Veränderung
    der Landschaft

2.1 Verlust von Offenland-Biotopen durch Aufforstung und Sukzession
2.2 Flurbereinigung: Ausgeräumte Landschaft
2.3  Flächenverlust, Zersiedelung
2.4 Folgen des Strukturwandels am Beispiel Rottenburg

Für alle 75 Lichtfang-Punkte wurde ein Luftbildvergleich von Befliegungen aus den Jahren 1968 und 2019 gemacht. Sie zeigen, dass selbst in den naturschutzfachlich besonders wertvollen Gebieten des Landes gravierende Veränderungen stattgefunden haben: 

In wenigen Jahrzehnten hat ein tiefgreifender Strukturwandel hin zu einer zunehmend monotonen Landschaft stattgefunden. Kleinparzellige Nutzungen wurden zu großen Bewirtschaftungseinheiten zusammengefasst und meist intensiviert. Extensiv genutzte Magerrasen wurden häufig aufgeforstet oder gingen durch Wiederbewaldung nach Nutzungsaufgabe verloren.

2.1 Verlust von Offenland-Biotopen durch Aufforstung und Sukzession

Besonders auffallend ist, dass die Waldfläche stark zugenommen hat - sowohl durch Aufforstung als auch durch Sukzession (Wiederbewaldung durch Nutzungsaufgabe), die durch Nährstoffeintrag aus der Luft zusätzlich beschleunigt wird. Betroffen sind vor allem Grenzertragsflächen des Offenlandes, welche ehemals an flachgründigen, trockenen Hängen oder in besonders nassen Bereichen existierten. 

Großflächiger Verlust von wertvollen Offenland-Biotopen durch Aufforstung und Sukzession.

Auch die Wälder selber sind heute großflächig homogener und geschlossener als früher. Es fehlen die ehemals zahlreichen Lichtungen, Schläge oder offenen Felsbereiche, die für viele Nachtfalter (und Arten anderer Gruppen) wichtige Randstrukturen mit oft mageren Offenland-Biotoptypen enthielten (z.B. Heidevegetation).

2.2 Flurbereinigung: Ausgeräumte Landschaft

Der Luftbildvergleich zeigt, dass in den letzten Jahrzehnten auf nahezu allen Agrarflächen massive Veränderungen der Landschaft durch Flurbereinigung stattgefunden haben. Die Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Flächen führte zum Verlust von kleinflächigen Randstrukturen und stellte die Grundlage dar für eine umfassende Nutzungsintensivierung auf diesen Flächen.

Folge der Flurbereinigung: Monotonisierung und Nutzungsintensivierung

2.3 Flächenverlust, Zersiedelung

Auch die Zunahme der Siedlungsfläche ist deutlich sichtbar, selbst in dieser für das Monitoring selektiven Auswahl der naturschutzfachlich besonders hochwertigen Gebiete. Im Allgemeinen dürfte der Flächenverbrauch noch wesentlich gravierender sein als in den untersuchten Quadranten!

Allein im Jahr 2021 wurden in Baden-Württemberg mehr als 2000 Hektar Land versiegelt, das entspricht einer Fläche von über 3.000 Fußballfeldern.
(Quelle: Statistisches Landesamt Stuttgart)
2.4 Beispiel:

Die Folgen des Landschaftswandels

Am Beispiel der Probeflächen in Rottenburg a. Neckar: 

Sowohl in den felsdurchsetzten Magerrasen als auch in den übrigen Offenland-Lebensraumtypen sind die Artenverluste hoch:

Auswirkungen des Strukturwandels in der Landschaft: Anhand der dargestellten gefährdeten Nachtfalterarten ist zu sehen, dass im Quadrant Rottenburg die Artenverluste in den Offenland-Lebensraumtypen sehr hoch sind. 

Der Hauptgrund für den allgemeinen Artenrückgang im Untersuchungsgebiet Rottenburg ist der Verlust an Habitatfläche. Der Vergleich mit Luftbildern von 1968 zeigt, dass große, ehemals offene Felsbereiche an den Steilhängen mittlerweile von Hochwald überdeckt sind.

Der vollständige Kronenschluss führt zu deutlich geänderten Temperatur-Verhältnissen einschließlich einer veränderten Bodenvegetation. Auch die Magerrasen zogen sich früher viel weitläufiger an den Hängen entlang als heute. Somit ging das ehemals reichhaltige Habitat-Mosaik verloren. Darüber hinaus zeugt die Zusammenlegung der früher schmalen Acker- und Wiesenparzellen von einem deutlichen Nutzungswandel der umliegenden Agrarlandschaft und ihrer Intensivierung.

Quadrant Rottenburg - Auswirkungen des Struktuwandels in der Landschaft: Der Vergleich mit Luftbildern von 1968 zeigt, dass große ehemals offene Felsbereiche an den Steilhängen mittlerweile von Hochwald überdeckt sind. Die Magerrasen zogen sich früher viel weitläufiger an den Hängen entlang als heute, das ehemals reichhaltige Habitat-Mosaik ging verloren.

3. Flächendeckende
    Überdüngung

3.1 Gülle und Ammoniak
3.2 Vom Ackergold zum Problemstoff
3.3 Stickstoff-Verschmutzung in Baden-Württemberg
3.4 critical load: die Stickstoff-Belastungsgrenzen wichtiger Lebensräume
3.5 Zustand der Lebensräume in Baden-Württemberg meist kritisch
3.6 Folgen der Überdüngung für die Habitat-Qualität
3.7 Selbst in Pflegeverträgen zu hohe Stickstoff-Mengen erlaubt
3.8 Aushagerung von Biotopen durch gezielte Pflegemaßnahmen

3.1 Exkurs:

Gülle (flüssig) und Ammoniak (gasförmig):

Insbesondere aus Massentierhaltungsställen, Gülle-Auffangbecken sowie bei der Gülleausbringung verflüchtigen sich jährlich hohe Mengen Stickstoff in Form des Gases Ammoniak (NH3) in die Luft. 

(Quelle: Statistisches Landesamt Bade-Württemberg, https://www.statistik-bw.de/Umwelt/Luft/Ammoniak.jsp)

Schädliches Ammoniak ensteht aus der Aufspaltung von Harnstoff, sobald der Urin mit den im Kot der Tiere lebenden Bakterien in Berührung kommt, die ein entsprechendes Enzym freisetzen. Dies ist vor allem in der Stallhaltung der Fall, weniger auf Weiden, wo den Tieren deutlich mehr Platz zur Verfügung steht. 

3.2 Vom Ackergold zum Problemstoff

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war Stickstoff ein limitierender Faktor für die Erträge landwirtschaftlicher Flächen. Mit großem Aufwand und in über Jahrhunderte gewachsenen hofinternen Stoffkreisläufen wurde er auf die Flächen gebracht. Mist und Gülle wurden uneingeschränkt positiv als "Ackergold" wahrgenommen. 

Durch die industrielle Herstellung von Düngemitteln und die intensive Nutztierhaltung mit entsprechender Gülle-Produktion haben sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt:

  • Heute leiden die Ökosysteme unter massivem Stickstoffüberschuss - mittlerweile einer DER Gründe für den aktuellen Biodiversitätsverlust.

Während es gelungen ist, die Stickstoff-Emissionen des Verkehrssektors spürbar zu reduzieren, ist die Landwirtschaft durch die großflächige Ausbringung von Gülle und industriell hergestellten Düngemitteln nach wie vor verantwortlich für weitreichende Umweltprobleme. Der ausgebrachte Stickstoff wird nur teilweise von den Pflanzen aufgenommen, der größte Teil verbleibt im Boden, gelangt in Gewässer oder entweicht in Form von gasförmigen Stickstoffverbindungen in die Luft, was zusammen mit Emissionen aus Industrie und Verkehr zu einem sehr problematischen Stickstoff-Überschuss in den Ökosystemen führt.

3.3 Stickstoff-Emissionen in Baden-Württemberg

Die Karte zeigt, dass im östlichen Baden-Württemberg in Gegenden mit sehr hohem Viehbesatz wie Hohenlohe und Oberschwaben besonders große Mengen an Stickstoff in die Atmosphäre gelangen. (Kartengrundlage: LUBW)

In Gegenden mit hohem Viehbesatz wie Hohenlohe und Oberschwaben gelangen besonders große Mengen Stickstoff in die Atmosphäre. (Karte: LUBW)

3.4 "critical load": Die Stickstoff-Belastungsgrenzen der Lebensräume

Die sogenannte "critical load" eines Lebensraums gibt an, ab welchen Stickstoff-Werten die jeweiligen Lebensräume ihre Belastungsgrenzen erreichen und stark geschädigt werden: 

Hochmoore, Niedermoore und Borstgrasrasen reagieren extrem empfindlich auf Stickstoffeinträge. Aber auch bei Kalk-Magerrasen, Pfeifengraswiesen und Berg-Mähwiesen liegen die Belastungsgrenzen sehr niedrig.

3.5 Fast überall erreicht bzw. überschritten

Belastungsgrenzen der Lebensräume in Baden-Württemberg

Bedingt durch die hohen Stickstoff-Einträge aus der Luft werden die Stickstoff-Belastungsgrenzen der empfindlichen Lebensräume in Baden-Württemberg bereits auf fast allen Flächen erreicht bzw. überschritten:

Stickstoff-Deposition in Baden-Württemberg: In vielen Regionen sind die Belastungsgrenzen der Lebensraumtypen bereits erreicht bzw. überschritten. In der Ausschnittvergrößerung wird deutlich, dass z.B. Hochmoore in Oberschwaben flächendeckend viel zu hohen Stickstoffeinträgen ausgesetzt sind. Auch die Mageren Flachland-Mähwiesen sind auf vielen Flächen stark beeinträchtigt und degradieren zunehmend zu artenarmen Wiesen.

3.6 Folgen der Stickstoff-Überdüngung für die Habitat-Qualität

Von Überdüngung sind nicht nur aktiv gedüngte Flächen betroffen, auch geschützte Biotope werden durch randliche Einträge aus benachbarten landwirtschaftlichen Flächen aufgedüngt. Zusätzlich findet durch die hohen atmosphärischen Stickstoff-Gehalte eine permanente Düngung der gesamten Landschaft aus der Luft statt - mit gravierenden Folgen für wichtige Biotope:

Verändertes
Mikroklima

In Kalk-Magerrasen nimmt z.B. die Obergrasbildung der Aufrechten Trespe (Bromus erectus) zu, was zu veränderten mikroklimatischen Verhältnissen führt und sich negativ auf die Larvalstadien auswirken kann.

Durch Stickstoff-Einträge aus der Luft ist in diesem früher kräuterreichen Magerrasen im Kaiserstuhl ein dichter Obergras-Horizont der Aufrechten Trespe (Bromus erectus) entstanden, obwohl die Fläche nicht aktiv gedüngt wird.

Rückgang
der Arten

Die für seltene und gefährdete Nachtfalter relevanten Lebensräume befinden sich meist auf mageren Standorten. Werden sie aufgedüngt, wird der Pflanzenaufwuchs üppiger und die konkurrenzschwächeren, an magere Verhältnisse angepassten Pflanzen-Arten werden überwuchert und verdrängt. Es kommt zu einer Zunahme an Pflanzenbiomasse bei gleichzeitiger Arten-Verarmung. Viele Fraßpflanzen der oft hochspezialisierten Nachtfalter-Raupen gehen verloren und damit auch diese Nachtfalter-Arten.

Artenarmes Intensivgrünland mit Löwenzahn. 

Erhöhte
Raupen-Sterblichkeit

Darüber hinaus konnte experimentell gezeigt werden, dass Larvalstadien von Schmetterlingsarten eine erhöhte Sterblichkeit aufweisen, wenn ihre Nahrungspflanzen mit einer Stickstoff-Konzentration von umgerechnet 30 kg pro Hektar und Jahr gedüngt werden (Kurze et al. 2018). Dieser Wert wird auf nahezu allen gedüngten Wiesen übertroffen!

Aufgedüngte Fraßpflanzen führen zu einer erhöhten Sterblichkeit von Schmetterlings-Raupen.

3.7 Selbst in Pflege-Verträgen zu hohe Dünge-Mengen erlaubt!

Auch naturschutzfachlich akzeptierte Dünge-Mengen liegen jahrweise über den Belastungsgrenzen der Habitate: 

Während die ökologische Belastungsgrenze der Mageren Flachland-Mähwiesen bei einem Stickstoff-Eintrag von 20-30 kg pro Hektar und Jahr liegt (vgl. Abbildung oben), lautet die in vielen Management-Plänen übernommene Düngeempfehlung für Magere Flachland-Mähwiesen 20 m3 verdünnte Gülle pro Hektar alle 2 Jahre. (Da eine Feindosierung von Gülle schwierig ist, werden die Flächen alle 2 Jahre mit der doppelten Menge gegüllt). Auf ein Jahr gerechnet, entspricht dies rund 35 kg pro Hektar an anrechenbarem Stickstoff. Zu dieser für die Lebensräume schon hohen Belastung ist noch der kontinuierliche atmosphärische Stickstoff-Eintrag aus der Luft hinzuzurechnen! 

Beispiel Magere Flachland-Mähwiese:

ökologische Belastungsgrenze:
20-30 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr

Eintrag durch Gülle und Luft in 2 Jahren:

  • 35 kg pro Hektar aus Gülle         
    + 2 x 15 kg pro Hektar aus Luft  

    65 kg pro Hektar in 2 Jahren


mehr als 32 kg pro Hektar in 1 Jahr

Fazit

Selbst in vielen Pflegeflächen sind die Stickstoffeinträge so hoch, dass dieser für Schmetterlinge wichtige Lebensraumtyp der Mageren Flachland-Mähwiese auf Dauer verschwinden wird, da die für ihn typischen Pflanzen verdrängt werden. 

Wie oben gezeigt, weisen zudem die Raupenstadien von Schmetterlingsarten eine erhöhte Sterblichkeit auf, wenn ihre Nahrungspflanzen mit einer Stickstoff-Konzentration von umgerechnet 30 kg und mehr pro Hektar und Jahr gedüngt werden.

Dies erklärt z. B., warum heute der Braune Feuerfalter (Lycaena tityrus), ein früher häufiger Tagfalter, auf Flachlandmähwiesen sehr selten geworden ist.

  • Wegen der weiterhin viel zu hohen Ammoniak-Emissionen - vor allem aus der Tierhaltung - ist zukünftig mit einer weiterhin starken Eutrophierung der Ökosysteme zu rechnen. Es muss daher ein vorrangiges Ziel sein, die Stickstoff-Emissionen nennenswert zu senken und die critical load-Grenzen der Lebensräume einzuhalten! Hier besteht angesichts der großflächigen Schädigungen der Biodiversität dringender Handlungsbedarf!
3.8 Exkurs:

Aushagerung von Biotopen

Gezielte Mahd und Beweidung

Aufgedüngte Wiesen können durch gezielte Pflegemaßnahmen ausgehagert werden:

2007:
Artenarme, durch Luftstickstoff aufgedüngte Wiese
mit starkem Obergrashorizont

2021:
Ausgehagerte Wiese mit wieder hohem Kräuteranteil

Gelungene Aushagerung eines durch atmosphärischen Stickstoff aufgedüngten Magerrasens durch gezielte Mahd und Schafbeweidung. Eine ausführliche Beschreibung der Maßnahmen im Kaiserstuhl, wo dieses Foto entstanden ist, findet sich in Karbiener & Seitz 2013.

4. Pestizide

4.1 Auswirkungen von Pestiziden

"Die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln wie
Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden
in der Landwirtschaft ist eine wichtige Ursache
für den anhaltenden Rückgang der Biodiversität."

(Sachverständigenrat für Umweltfragen)

Viele Pestizide ( = "Pflanzenschutzmittel") zerstören die Artenvielfalt mit zum Teil verheerenden Folgen. Die drei gängigsten Pestizide sind Insektizide, Herbizide und Fungizide. 

Hinsichtlich des Insektensterbens stehen vor allem die Insektizide im Fokus, hier ganz besonders die hochwirksamen Neonikotinoide. Aber auch Herbizide haben indirekte Effekte: So gibt es Hinweise auf den Einfluss von Glyphosat auf das Flug- und Orientierungsvermögen von Honigbienen (Balbuena et al. 2015, SRU 2018). Weidenmüller et al konnten 2022 für Hummelvölker, die Glyphosat ausgesetzt waren, eine starke Beeinträchtigung des Bruterfolgs feststellen, da die Hummeln unter Glyphosateinfluss nicht mehr in der Lage waren, die erforderlichen Nest-Temperaturen aufrechtzuerhalten. Auch Fungizide können u.a. über eine Verstärkung der vergiftenden Wirkung von Neonikotinoiden zum Insektensterben beitragen (Tsvetkov et al. 2017).

4.2 Abdrift

Einmal ausgebracht, verbreiten sich Pestizide auf vielfältigen Wegen in der Umwelt, es ist kaum möglich, sie auf die Zielflächen zu begrenzen. Infolge der Verbreitung durch Wasser und Wind lassen sich inzwischen selbst in entlegenen Regionen Spuren der Gifte nachweisen.

Abdrift von Spritzmitteln in das oberhalb der Rebzeilen gelegene Naturschutzgebiet

4.3 Pestizide in Ökosystemen

Pestizide in der Nahrungskette
Vom Insektensterben besonders betroffen:  die Vögel der Agrarlandschaft
Belastete Kleingewässer

Alarmierend sind die Ergebnisse einer 2021 vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) veröffentlichten Studie, in der bundesweit viel zu hohe Pestizidbelastungen von Kleingewässern in Agrarlandschaften gefunden wurden. 

Insekten auch in Naturschutzgebieten mit Pestiziden kontaminiert

Eine aktuelle Studie aus Deutschland (Brühl et al. 2021) zeigt zudem, dass auch Insekten in Naturschutzgebieten, die neben landwirtschaftlich genutzten Flächen liegen, eine Vielzahl von Pestizid-Rückständen aufweisen! Die Insektenproben waren im Durchschnitt mit mehr als 15 verschiedenen Pestiziden kontaminiert.

4.4 Pestizidbelastung in Baden-Württemberg

Wie stark die Umwelt mit Pestiziden belastet ist, ist schwer zu beurteilen, da erst im Jahr 2021 - nach jahrelangem Rechtsstreit von NABU und Landeswasserversorgung mit der baden-württembergischen Landwirtschaftsverwaltung - das Anrecht auf Herausgabe von Pestizid-Einsatzdaten gerichtlich bestätigt wurde. Ein genauerer Überblick über die Pestizid-Belastung in Baden-Württemberg ist aktuell noch immer nicht öffentlich verfügbar! 

Besonders Pestizid-intensiv:
Obst, Wein, Winterweizen, Mais

Es lassen sich jedoch Rückschlüsse anhand der Verteilung der verschiedenen Kulturen im Land ziehen, da diese sehr unterschiedlich hohe Pestizid-Anteile aufweisen. Hier sind die lokalen Anbaukulturen Obst und Wein besonders hervorzuheben, aber auch Winterweizen und Mais machen auf großer Fläche einen hohen Anteil an der insgesamt ausgebrachten Pestizidmenge aus.

Kulturen und ihre Anbaufläche in Baden-Württemberg: Obst und Wein sind besonders Pestizid-intensiv, auch Winterweizen und Mais machen auf großer Fläche einen hohen Anteil an der ausgebrachten Pestizidmenge aus.
(Quelle: Enssle & Goedecke 2018)

Beispiel Tettnang

Obstbau-Region mit hoher Pestizid-Belastung 

In Tettnang am Bodensee, einem Gebiet mit intensivem Obst-Anbau und hoher Pestizid-Belastung, sind die Nachweise der Nachtfalter-Arten in allen Lebensräumen eklatant eingebrochen - auch auf Flächen, die von der Ausstattung mit Nahrungs- und Habitatpflanzen vielversprechend aussahen. Trotz intensiver Erfassung im Monitoring wurden nur 200 Arten nachgewiesen. Im Alt-Zeitraum waren es 414 Arten!

In Tettnang am Bodensee, einem Gebiet mit intensivem Obst-Anbau und hoher Pestizid-Belastung, sind die Nachweise von Arten in allen Lebensräumen eklatant eingebrochen, die Verluste übersteigen die durchschnittlichen Verluste in allen anderen Quadranten bei Weitem. Trotz intensiver Erfassung im Monitoring wurden nur 200 Arten nachgewiesen. Im Alt-Zeitraum waren es 414 Arten!

5. Klimawandel

Je nach Klimaszenario und Ausbreitungsfähigkeit der einzelnen Arten könnten zum Ende des 21. Jahrhunderts ein erheblicher Teil der Bestäuber in Europa gefährdet oder ausgestorben sein.

(Settele et al. 2008, Rasmont et al. 2015, Warren et al. 2018).

5.1 Das Extrem-Jahr 2018

In Baden-Württemberg sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits deutlich spürbar, wie die folgenden Karten zeigen. Die Witterung des „Extrem- Jahres“ 2018 hatte erhebliche Auswirkungen auf das darauffolgende Kartierjahr 2019. So wurden die durchschnittlichen Winter- und Sommertemperaturen bereits in diesem Jahr um mehrere(!) Grad überschritten und es ist zu befürchten, dass die Temperaturen weiter zunehmen werden:

2018

Abweichung der
Sommertemperaturen

Abweichung der Sommertemperaturen vom langjährigen Mittel. Flächendeckend waren die Temperaturen um mindestens 2 Grad höher als gewöhnlich, vielerorts sogar bis zu 4 Grad!

2018

Abweichung der
Wintertemperaturen

Die Abweichung der Wintertemperaturen vom langjährigen Mittel betrug in weiten Teilen des Landes bis zu 3 Grad!

2018

Abweichung
der Bodenfeuchte

Abweichung der Bodenfeuchte vom langjährigen Mittel: landesweit nahm die Bodenfeuchte um mindestens ein Viertel ab - in einigen Teilen des Landes sogar bis zu 50 Prozent !

2018

Abweichung
des Niederschlags

Abweichung der Niederschlagsmengen vom langjährigen Mittel: fast im ganzen Land fiel 30 bis 70 Prozent weniger Niederschlag, in einigen Regionen sogar bis zu 90 Prozent!

5.2 Auswirkungen des Klimawandels auf die Nachtfalter-Fauna

Veränderte klimatische Bedingungen wirken auf einzelne Arten positiv, auf die meisten aber negativ. Während wärmeliebende Arten sich weiter nach Norden und in höhere Lagen ausbreiten können, sterben kälteliebende Arten lokal aus (Fox et al. 2014, 2021). 

Auch wenn bei einem flächigen Rückgang von Arten oft mehrere Faktoren zusammenspielen, haben die klimatischen Veränderungen einen bedeutenden Einfluss auf den Wandel der Nachtfalterfauna!

Die meisten klimabedingten Ausbreitungs- und Aussterbeereignisse beruhen allerdings nicht auf Änderungen diverser Durchschnittswerte der Witterung, sondern vor allem auf der Zunahme (bzw. Abnahme) von Extremwetter-Ereignissen.

Ausbreitung wärmeliebender Arten

So können sich wärmeliebende Arten zwar aufgrund von durchschnittlich höheren Wärmesummen besser vermehren, eine Überwinterung in Baden-Württemberg ist aber auf das Fehlen starker Frostperioden zurückzuführen.

Neueste wärmeliebende Einwanderer sind z. B. die Malveneule (Acontia lucida) oder die Waldrebeneule (Clemathada calberlai).

Rückgang kälteliebender Arten

Auf der anderen Seite verlieren kälteliebende Arten ihre Lebensstätten aufgrund von extremen Hitze- und Dürreperioden im Sommer bzw. zu kurzen durchgehenden Kälteperioden im Winter.

Deutliche „Klimawandel-Verlierer“ sind z. B. der Herbstlaubspanner (Ennomos autumnaria), die Silberblatt-Goldeule (Autographa bractea) oder die Mondfleckglucke (Cosmotriche lobulina). 

5.3 Schutzgebiete zu klein für den Ausgleich von Extremwetter-Ereignissen

Um die Auswirkungen der zunehmenden Extremwetter-Ereignisse ausgleichen zu können, müssen unterschiedliche Standortfaktoren für verschiedene Arten kleinflächig vorhanden sein. Dafür ist es notwendig, eine Vielzahl geeigneter Habitate in unterschiedlichen Lagen und Expositionen bereitzuhalten.

Im Kaiserstuhl fielen 2019 beispielsweise etliche Magerrasen-Arten mit mesophilen  Standortansprüchen auf den südexponierten Hängen aus, nachdem über mehrere Wochen durchgehend aride Verhältnisse geherrscht hatten. Dank der Größe und Vielfältigkeit des Gebietes konnten die Arten allerdings die nordexponierten Hänge als Refugialflächen nutzen (Karbiener 2019, 2020).

  • Um Extremwetter-Ereignisse ausgleichen zu können, sind sowohl ein guter Habitat-Verbund als auch eine gute Ausbreitungsfähigkeit der Arten Voraussetzung.
  • Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Fehlen solcher Rückzugsflächen für lokale Populationen fatal sein kann.